Bidens Anmaßung, den Europäern zu sagen, dass Nord Stream-2 ein schlechtes Geschäft ist, zeigt, dass die Europäer letztlich als nicht souverän angesehen werden, wenn es um die Festlegung ihrer Energiepolitik geht.
Die Europäische Union hat diese Woche ein unhöfliches Memo erhalten, das darauf hinweist, dass in Washington zwar ein neuer Präsident residiert, aber es ist immer noch die gleiche amerikanische Politik, sie wie Vasallen zu behandeln.
Der demokratische Präsident Joe Biden hat vielleicht mehr transatlantische Finesse und Sensibilität im Vergleich zum rauen Republikaner Donald Trump. Aber unterm Strich fühlt sich Biden genauso berechtigt wie sein Vorgänger, die Europäer wie einen Haufen Lakaien herumzukommandieren. Vielleicht nicht mit der gleichen prägnanten Rhetorik, aber doch mit der gleichen überheblichen Haltung.
Deutlich wurde dies in der Erklärung der Biden-Administration zum Erdgasprojekt Nord Stream-2, das demnächst zwischen Russland und Europa realisiert werden soll. „Präsident Biden denkt, dass dies ein schlechter Deal für Europa ist“, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Jan Psaki, mit einem Hauch von Endgültigkeit in dieser Angelegenheit.
Die neue Administration prüft, wie sie die vom Vorgänger Trump formulierten Sanktionen umsetzen kann, die sich gegen europäische Unternehmen richten, die am Bau des Gasprojekts beteiligt sind. Nach einem Jahr Unterbrechung der Arbeiten aufgrund der amerikanischen Sanktionen wurde der Bau der Nord Stream-2-Pipeline diese Woche wieder aufgenommen. Das 10-Milliarden-Euro-Projekt, bei dem 12.000 Kilometer Rohrleitungen unter der Ostsee von Russland nach Deutschland verlegt werden, ist zu über 95 Prozent abgeschlossen. Die letzten Kilometer der Rohrverlegung wurden in dänischen Gewässern auf dem Weg zur deutschen Küste wieder aufgenommen.
Die neue Nord Stream-Leitung wird die bestehende Menge an Erdgas verdoppeln, die von Russland nach Deutschland und in den Rest der Europäischen Union geliefert wird. Die Steigerung des Verbrauchs von sauberem Erdgas ist entscheidend für die deutschen Pläne, von schmutziger Kohle und Atomkraft wegzukommen. Russisches Gas ist auch viel wirtschaftlicher als alternative Quellen, wie z.B. die Pläne der Amerikaner, verflüssigtes Erdgas auf dem Seeweg zu exportieren.
In der Tat hat Russland die amerikanischen Sanktionen gegen Nord Stream-2 mit der Begründung abgelehnt, Washington versuche, kommerzielle Entscheidungen mit politischen Instrumenten zu erzwingen. (So viel zum amerikanischen Kapitalismus der freien Marktwirtschaft!)
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das Engagement ihrer Regierung für die Fertigstellung des Nord Stream-2-Projekts bekräftigt. Auch deutsche Wirtschaftsverbände haben die strategische Bedeutung der Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung mit Gas für das künftige Wirtschaftswachstum unterstrichen. Die Energiekosten sind sowohl für die exportorientierte deutsche Wirtschaft als auch für die Beibehaltung niedriger Haushaltsrechnungen von größter Bedeutung.
Dieses deutsche Engagement erfolgt trotz der Kontroverse um den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny, der im vergangenen August nach Deutschland ausgeflogen wurde und behauptete, er sei vom Kreml in einem haarsträubenden Attentatsplan vergiftet worden. Der Kreml hat die Behauptungen kategorisch als absichtliche Provokation zurückgewiesen und eine Beteiligung westlicher Geheimdienste an einem Versuch, Russland zu destabilisieren, unterstellt. Nawalny hielt sich fast fünf Monate lang als De-facto-Gast der Berliner Regierung in Deutschland auf. Bei seiner Rückkehr nach Moskau am 17. Januar wurde er wegen Verstößen gegen seine Bewährungsauflagen im Zusammenhang mit einer früheren Verurteilung wegen Betrugs verhaftet.
Merkel und andere deutsche Politiker haben Nawalny sicherlich viel mediale Unterstützung für seine unbewiesenen Anschuldigungen gegen den Kreml gegeben. Ihre Nachsicht mit solchen provokativen Anschuldigungen ist sicherlich eine verachtenswerte Missachtung der Souveränität und der Gesetze Russlands und erhebt einen dubiosen Agitator über das Amt des Präsidenten Wladimir Putin.
Doch so dumm sind die Deutschen nicht. Sie wissen ganz genau, dass ein Verzicht auf Nord Stream-2 gleichbedeutend damit ist, ihrer Wirtschaft einen Schuss vor den Bug zu setzen. Daher hält Berlin trotz des Aufruhrs um Nawalny an Nord Stream-2 fest.
Auftritt Joe Biden. Der Präsident maßt sich an, den Europäern zu sagen, was seiner Meinung nach gut oder schlecht für sie ist. Ein amerikanisches Staatsoberhaupt von jenseits des Atlantiks schreit den europäischen Staaten zu, dass die Lieferung von günstigem russischen Gas „kein gutes Geschäft“ ist.
Natürlich müssen die Amerikaner ihre nackten kommerziellen und strategischen Interessen mit dem rhetorischen Gewand verschleiern, dass Washington „nur“ darum besorgt ist, dass Europa durch russische politische Erpressung ausgebeutet wird, wenn Europa bei den Gaslieferungen von Moskau abhängig ist. Die Schlussfolgerung ist, dass Russland die Gasleitungen abstellen könnte, wann immer es politisch opportun ist. Diese zynische Sichtweise beruht auf einer dunklen Russophobie und wäre in jedem Fall aus rechtlicher und vertraglicher Sicht unplausibel.
Bidens arroganter Widerstand gegen Nord Stream-2 ist nicht nur eine Fortsetzung der Politik der Trump-Administration. Auch in den früheren Obama-Administrationen (2008-2016), in denen Biden als Vizepräsident diente, war es Politik, sich gegen das ehrgeizige Gasprojekt zu stellen, das 2011 begann.
Mit Trump haben die meisten europäischen Staats- und Regierungschefs eine Abneigung gegen seine forsche und rüpelhafte Art entwickelt. Unter dem Slogan „America First“ schüchterte Trump die Europäer wegen angeblich unfairer Handelszölle ein, ebenso wie wegen angeblich nachlassender Verpflichtungen bei den Militärausgaben für die NATO. Nur Polen und die rechtsgerichteten baltischen Staaten scheinen Gefallen an Trump gefunden zu haben, den sie für seine Anti-Russland-Sanktionen wegen Nord Stream-2 bewunderten.
Nun, da Biden im Weißen Haus ist, haben verschiedene europäische Staats- und Regierungschefs ihre Erleichterung zum Ausdruck gebracht und den neuen Präsidenten, der offen über die Erneuerung und Stärkung des transatlantischen Bündnisses spricht, herzlich begrüßt. Der implizite Glaube ist, dass Biden die europäischen Verbündeten auf eine Weise schätzt, wie es der vulgäre Trump nicht tat.
Jede Vorstellung von einer neu entdeckten amerikanischen Wertschätzung der europäischen Verbündeten sollte widerlegt werden. Bidens Anmaßung, den Europäern zu sagen, dass Nord Stream-2 ein schlechter Deal ist, zeigt, dass die Europäer letztlich als nicht souverän angesehen werden, wenn es um die Festlegung ihrer Energiepolitik geht. Uncle Sam weiß wie immer das Beste für seine kleinen europäischen Vasallen.